M. Meurer: Höhenstufung von Klima und Vegetation
Die Region der Ostalpen bietet sich
aus mehreren Gründen als Bei¬
spielsraum für die Erläuterung
klimatischer und vegetationsgeographi¬
scher Höhenstufen an: Inmitten des Al¬
penraumes gelegen, wird hier die größte
Breitenerstreckung von über 240 km bei
hoher Reliefenergie zwischen dem Gar-
dasee (65 m NN) und den zentralalpinen
Gipfeln (Ortler 3899 m NN) erreicht. Zu¬
gleich durchdringen sich in diesem Raum
die westlich martime, die östlich konti¬
nentale und die südlich maritime Kli¬
maprovinz. Eingeschlossen wird auch
der ausgedehnte inneralpine Trocken¬
raum. Schließlich liegen gerade über die¬
sen Raum besonders detaillierte Studien
natur- und kulturlandschaftlicher Phä¬
nomene vor, die eine fundierte horizon¬
tale und vertikale Differenzierung we¬
sentlich erleichtern.
Die Höhenstufung des Klimas
Ausgehend vom jeweiligen zonalen
Klima muß zur Erfassung des Hochge¬
birgsklimas die vertikale Dimension mit¬
einbezogen werden, d. h. eine dreidimen¬
sionale Betrachtungsweise wird erforder¬
lich
(Troll
1966).
'\ Parallel zum höhenbedingten Luft¬
druckabfall (barometrische Höhenstufe)
i
verringert sich bei geringerem Aerosol-
Kanteil die Lufttrübung. Bei Strahlungs¬
wetter und fehlender Bewölkung steigt
dadurch die direkte Sonnen- und UV-
Strahlung erheblich an, während der An¬
teil der diffusen Himmelsstrahlung ab¬
nimmt. Die Hochgebirgspflanzen sind
an diese höhenbedingte Strahlungszu-
r nähme, die bei geschlossener Bewölkung
entfällt, morphologisch und stoffwech-
. seiphysiologisch bestens angepaßt.
Der höhenbedingte Niveaueffekt wird
dabei allerdings durch den reliefbeding¬
ten Expositionseffekt mehr oder weniger
stark überlagert. Orographisch bedingt,
kann
durch Horizontüberhöhung (z. B.
bei steiler geschlossener Gebirgsumrah-
mung) die einfallende Strahlung erheb¬
lich reduziert werden oder sogar ganz
entfallen (z. B. in W-O- verlauf enden Tä¬
lern im Winter auf über 20° geneigten
Schatt hängen). Diese Bedeutung von Ex¬
positionsgunst oder
-Ungunst
spiegelt
sich deutlich im stark abweichenden
Landnutzungsmuster (sonnseitig-land-
wirtschaftliche Nutzflächen, schattseitig
- Bewaldung) vieler alpiner Längstäler
wider.
Modifizierend wirken sich weiterhin
die unterschiedlichen Bewölkungsver¬
hältnisse im N-S-Profil aus. Wegen der
ßrößeren Bewölkungshäufigkeit und
-dauer durch Staueffekte fallen die mitt-
,er
en Strahlungsintensitäten und damit
such die mittlere relative Sonnenschein-
flauer vom wolkenarmen Zentrum zu
de
n Randalpen hin ab (vgl.
Abb. 1).
Der
inneralpine Raum besitzt somit günsti¬
gere Strahlungs- und entsprechend gün¬
stigere Temperaturbedingungen (trotz
der starken nächtlichen Ausstrahlung)
als die Randalpen, die den Zentralraum
zudem durch die Abschirmung kalter
Luftmassen thermisch noch weiter be¬
günstigen
(Abb. 2).
Kaltluftseen und Inversionen prägen
das Klima vieler Alpentäler
Im Gegensatz zur höhenbedingten
Strahlungszunahme fallen die Luft¬
temperaturen beim Anstieg ab. Die ther¬
mische Höhenstufe schwankt in den Al¬
pen um einen mittleren Jahreswert von
0,5 °C pro 100 Höhenmeter.
Diese hypsometrische Abnahme der
Lufttemperatur äußert sich in einem ver¬
späteten Frühlings- und einem verfrüh¬
ten Herbstbeginn, insgesamt also in einer
erheblichen Verkürzung der Vegetations¬
zeit mit einem mittleren phänologischen
Gradienten von 6-7 Tagen/100 Höhen¬
meter
(Ellenberg
1978,
Meurer
1980).
Die Bodentemperaturen sinken dage¬
gen durch den Ausstrahlungsschutz der
Schneedecke weniger stark ab. In Ober-
gurgl/Ötztal (2000 m NN) wies die Bo¬
dentemperatur in 10 cm Tiefe beispiels¬
weise im Vergleich zur Lufttemperatur in
200 cm Höhe ein um 3 °C höheres Jah¬
resmittel auf
(Fliri
1975, S. 168).
Allerdings kann sich die gesetzmäßige
Lufttemperaturabnahme zur Höhe hin
gelegentlich auch ins Gegenteil umkeh¬
ren. In Becken-, Mulden- und Tallagen
können bei nächtlicher Ausstrahlung
und geringer Luftbewegung durch die
von den Hang- und Höhenlagen abflie¬
ßende Kaltluft ausgedehnte Kaltluftseen
entstehen. Großflächige Waldrodungen
verstärken diesen Effekt. Die dadurch
hervorgerufene intensivere Wärmeab-
strahlung läßt mehr Kaltluft entstehen,
die nunmehr, durch keine Baumbestände
gehindert, talwärts abfließen kann. Diese
thermischen Ungunststandorte schließen
den Anbau frostempfindlicher Sonder¬
kulturen weitgehend aus. Im Einflußbe¬
reich von ortsgebundenen Kaltluftseen
kann es daher zu einer
v
Vegetationsum¬
kehr (etwa einer Verzahlung von subme¬
diterranen und alpinen Pflanzenarten)
kommen, wie sie z. B. in Südtirol in den
Eppaner Eislöchern
(Pf äff
1933) und in
Niederösterreich in der Doline auf der
Gstettner Alm nachgewiesen worden
sind
(Fliri
1975).
Hinsichtlich der Auswirkungen auf
die Umwelt vermutlich noch bedeutsa¬
mer sind die insbesondere bei wind¬
schwachen Hochdrucklagen im Winter
häufig mehrere Tage andauernden Inver¬
sionen in Tallagen. Durch die stabile
Luftschichtung wird der Luftaustausch
unterbunden. Daraus ergeben sich ge¬
rade in touristisch stark erschlossenen
Alpen tälern bei hohem Verkehrsauf¬
kommen erhebliche Schadstoffanreiche¬
rungen mit z. T. großstädtischen Ausma¬
ßen, wie sie
Fliri
(1975) auch für das
mittlere Inntal nachweisen konnte (vgl.
Abb. 6).
"In den Tallagen erhöht sich durch den
Kaltlufteinfluß die jährliche Tempera¬
turschwankung beträchtlich und damit
auch der Kontinentalitätsgrad. Hoch-
und Gipfellagen weisen dagegen ein stär¬
ker ozeanisch getöntes, ausgeglicheneres
Klima auf.
Jahresniederschlag nimmt zu den Innen¬
alpen hin ab
In Analogie zur zunehmenden thermi¬
schen Kontinentalität von den Rand- zu
den Innenalpen hin hat
Garns
(1931/32)
auf das Phänomen der
hygrischen Konti¬
nentalität
hingewiesen. Danach beste¬
hen enge Gesetzmäßigkeiten zwischen
Temperaturwerten , Niederschlagsvertei¬
lung und Pflanzen- Verbreitungsgrenzen.
Die umfangreichen Daten von
Fliri
(1975) bieten eine fundierte Basis zur
hygrischen Differenzierung der Ostalpen
im N-S-Profil. Sie lassen eine eindeutige
höhenbedingte Niederschlagszunahme
erkennen. In bezug auf den Jahresgang
des Niederschlags läßt sich unser Gebiet
mit Ausnahme eines kleinen Grenzsau¬
mes zwischen Trient und Gardasee dem
mitteleuropäischen Klimatyp mit Som¬
mermaximum und Winterminimum zu¬
ordnen. Erst zu den südlichen Randalpen
hin verlagert sich das Maximum der Nie¬
derschläge zum Herbst bei zugleich er¬
höhter Variabilität und größerer Häufig¬
keit von Starkregen.
Die Höhe des Jahresniederschlags
nimmt dagegen staubedingt von den
Randalpen zu den Innenalpen hin ab
(Abb. 3).
Das Ergebnis dieser hygrischen
Benachteiligung der Innenalpen sind die
ausgedehnten inneralpinen Trockentäler,
wie das Engadin und der Vinschgau mit
ihren charakteristischen wärme- und
trockenheitsliebenden Pflanzengesell¬
schaften. Kulturlandschaftlich spiegelt
sich die Niederschlagsarmut in der gro߬
flächig verbreiteten Bewässerungswirt¬
schaft wider.
Verstärkt wird diese Trockenheit
noch durch die Föhnwinde (Nord- und
Südföhn), wobei der Südföhn am nach¬
haltigsten die Lufttemperatur erhöht und
die relative Luftfeuchtigkeit reduziert.
Prägend wirkt sich dabei auch die beim
orographisch erzwungenen Aufstieg
überflossene Kammhöhe aus. Dies belegt
der trockenere, wärmere Stubaier Föhn
mit großer Fallhöhe im Vergleich zum
schwächeren Wipptaler Föhn. Die starke
Erwärmung der Luft beim Abstieg beein¬
flußt in den inneralpinen Föhngassen
erheblich den Zeitpunkt von Schnee¬
schmelze und phänologischer Entwick¬
lung der Pflanzendecke. Zum Föhn als
Leeseitenphänomen treten in den Tal-
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