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Der Volkscharakter der Ötztaler Einige Skiz... (1971)
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Heft 7/9

„Tiroler Heimatblätter"'

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Der Volkscharakter der Otztaler
Einige Skizzen zum Verständnis einer Tiroler Talschaft

Von Hans Haid

Was ich seit Jahren an Schilderungen über schein¬
bar typische Charaktereigenschaften der otztaler
zusammengetragen habe, scheint mir gerade jetzt
der Veröffentlichung wert. Angeregt durch den
vorzüglichen Beitrag von Dr. Hans Grießmair,
Bozen, in der Zeitschrift „Der Schiern", Heft
12, 1971, zum Thema ,,Der Tiroler Volkscha¬
rakter", versuche ich, die dort für Südtirol zu¬
sammengefaßten Kriterien auf eine Nordtiroler
Talschaft anzuwenden. Neben den zahlreichen
Quellen, die Grießmair zitiert hat, steht auch mir
eine Reihe von Publikationen zur Verfügung, in
denen mehr oder weniger treffend der Charakter
der otztaler beschrieben wird. Es fällt bei Studium
dieser Quellen auf, daß immer wieder der otz¬
taler als Typus aufscheint und nur vereinzelt
unterschiedliche Merkmale der Bevölkerung der
einzelnen Gemeinden bzw. Talstufen aufgezeigt
werden.

Verallgemeinerungen bei der Typisierung eines
Volkes kennen wir aus eigener Erfahrung und aus
vielfältigen literarischen Quellen. Ich bestreite, daß
es den Typus des Tirolers gibt, der in vollkom¬
mener Verzeichnung jodeln und schifahren kann
und der mit Speckknödeln im Maul auf die Welt
kommt. Daß der Tiroler erst mit vierzig Jahren
gescheit wird, trifft wohl hinsichtlich einer nicht
abzuleugnenden Behäbigkeit und Schwerfälligkeit
zu, die damit extrem formuliert wird. So schrieb
im Jahre 1675 der Kurfürst Karl Ludwig von
der Pfalz an seinen Sohn: „Saugt mir nur nicht
zu viel tirolische Luft ein! Denn dort wird man
erst im vierzigsten Jahr klug" 1 . Auch sind sie,
wie das bekannte Liedchen weiß, nicht allgemein
lustig und froh. („Die Tiroler sind lustig, die
Tiroler sind froh . . .")

Wieweit allgemein Klima, Abstammung, Le¬
bensweise und Sprache den Volkscharakter bestim¬
men, ist in jahrhundertelanger Fragestellung und
trotz vielfältiger Deutungsversuche nie klargestellt
worden. Es ist fraglich, ob dies nach den neuesten
Erkenntnissen der Soziologie und der Psychologie,

die sicherlich Wesentliches und Treffendes auszu¬
sagen vermögen, auch nur annähernd möglich sein
wird. Neben diesen beiden Wissenschaften wird
die Volkskunde immer versuchen müssen, aus ihrer
Blickrichtung über die Gesamtheit „Mensch" Fra¬
gen über den Volkscharakter zu stellen, aus empi¬
rischen Erhebungen Erfahrungen zu sammeln und
schließlich eine wissenschaftlich fundierte Antwort
zu geben oder dies wenigstens zu versuchen. In
der geforderten Zusammenschau erkennt Richard
Weis 2 , daß das Volksleben aus den Wechselbe¬
ziehungen zwischen Volk und Volkskultur besteht,
soweit sie durch Gemeinschaft und Tradition be¬
stimmt ist. Dieser primär der Volkskunde zuste¬
hende Aspekt muß Hand in Hand gehen mit den
Erfahrungen aus der Forschung über die Umwelt¬
theorie, nach den Möglichkeiten der Verhaltens¬
forschung, der Individual- und Massenpsychologie
sowie aus den Erkenntnissen über den Bindungs¬
faktor „Sprache". Eine isolierte Betrachtungsweise
von der einen oder anderen Seite ist keinesfalls
zielführend und bleibt immer einseitig. Zweifellos
ergeben sich aus annähernd gleichen Voraussetzun¬
gen, die in gemeinsamer Sprache, gleicher Lebens¬
weise, gleichen Umweltbedingungen, gleicher Re¬
ligion, volklicher Zugehörigkeit usw. begründet
sind, erkennbare und allgemeingültige Merkmale,
die eine Typisierung rechtfertigen könnten. Mag
die Wissenschaft noch so theoretisch die vielfältigen
Formen menschlichen Zusammenseins zu ergründen
versuchen, immer bleibt der Mensch als Einzel¬
individuum „eingebettet in die Gemeinschaft der
Mitmenschen" 3 und ist „die Menschlichkeit die
Grundstruktur der menschlichen Existenz" 4 .

Am konkreten Beispiel des ötztales könnte, da
viele Gemeinsamkeiten auffallen, der Versuch ge¬
macht werden, den Volkscharakter zu typisieren.
Markante Faktoren wären Klima, Abstammung,
Lebensweise, Sprache usw., wobei die Verbindung
zur Volkskultur aus der Tradition hergestellt wer¬
den muß. „Ein Volk bestimmt sich in seinem
Charakter nicht so sehr durch gewisse objektive