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Tiere im Ewigschneegebiet - Sonderdruck aus ... (1963)
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Arbeiten aus dem Institut

für Zoologis

der Universität Innsbruck
Im Austausch überreicht

N.F. Nr.

Sonderdruck aus: „Die Umschau in Wissenschaft und Technik", Heft 2/1963

Tiere im Ewigschneegebiet

Von Prof. Dr. H. An der Lan, Zoologisches Institut,
Universität Innsbruck

Das Eivigschneegebiet ist durch eine das ganze Jahr Ober andauernde Schneedecke gekennzeichnet. In
mächtiger Ausdehnung erstreckt es sich Über die Polkappen der Erde und ist ein charakteristisches Land¬
schaftsbild der Hoehgebirgsregionen. Für viele mag es kaum glaubhaft erscheinen, inmitten von Eis
und Schnee auf Lebewesen zu stoßen. Trotz aller l'mvirtlichkeit gibt es jedoch Organismen, die diesen
Bereich bevölkern. Welche Lebensbedingungen linden die Tiere hier, und welche physiologischen Beson¬
derheiten schützen Ihre Existenz?

In den Alpen liegt die heutige Schneegrenze bei ca. 3000 m.
Steigen wir über diese Grenze empor, so dringen wir in
zwei ausgedehnte Lebensbereiche unter extremen Klima¬
bedingungen vor: 1. in Gebiete mit Gletschereis, dessen
winterliche Schneedecke in den tieferen Teilen im Sommer
abschmilzt, und 2. in Felsgebiete mit spärlichem Erd¬
reich.

Das Gletschereis hat sich vor allem ein Tier - vielleicht
als einziges - zu seinem ureigensten Lebensraum aus¬
erkoren: der dem Namen nach längst bekannte Glet¬
scherfloh (Isotoma saltans Nie). Die meisten Touristen
kennen ihn, und immer wieder erregen diese kleinen
schwarzen Springschwänze (Bild 1), die oft wie Ruß über
""größere Schneeflächen verteilt sind, das Interesse der
Bergwanderer. Zu Millionen und aber Millionen kommen
sie auf Schnee und Eis vor. Durch die Untersuchungen
Steinbocks (1 bis 4), Schallers (5) und An der Lans {6,14),
wissen wir heute schon eine Menge über ihre eigenartige
Lebensweise.

Bei schönem Wetter leben die Gletscherflöhe an der
Schneeoberfläche, wandern hin und her, kriechen im Alt¬
schnee, im Firn, aus tieferen Schichten nach oben und
umgekehrt. Selten findet man sie in Ruhe. Schon bei Be¬
schattung durch eine größere Wolke ziehen sie sich in das
Lückensystem des großkörnigen Firnschnees zurück.
Daß sie ständig in Bewegung sind, scheint darin be¬
gründet zu sein (auch andere Beobachtungen sprechen
dafür), daß ihnen länger dauernde direkte Sonnenbe¬
strahlung unangenehm ist. Auf der im Sommer in
tieferen Lagen schneefreien Gletscheroberfläche sind
nämlich diese Tiere nur spärlich zu finden. Jedoch halten
sie sich in Mengen in den die Gletscheroberfläche durch¬
ziehenden feinen Rissen auf, die sich gegen das Eisinnere
zu kleineren und größeren Hohlräumen erweitern können.
Schlägt man das Eis mit einem Pickel auf, so kann man
sie zu Hunderten beisammen finden, häufig sogar in
Tiefen von 20 bis 30 cm, wie Steinbock (4) nachweisen
konnte. Auch nach meinen eigenen Beobachtungen der
letzten Jahre meiden sie meist die blanke Eisfläche, sind
jedoch unter Gesteinsplatten oder in deren unmittelbarer
Nähe oft massenhaft anzutreffen.

Nahrung und „Winterquartier" des Gletscherflohs

Trotz der scheinbaren Leere dieses Lebensraumes ist
für Ernährung reichlich gesorgt. Wer je im Som¬
mer auf einen ausgeaperten Gletscher gestiegen ist, wird
über das häufig „schmutzige" Aussehen der Eisoberfläche

vielleicht enttäucht gewesen sein. Dieser „Schmutz", der
die Nahrungsgrundlage unseres kleinen Tieres bildet, ist
ein dunkler bis schwarzer Belag, der von Norden-
skjöld 1870 mit dem Namen „Kryokonit" belegt wurde.
Seiner Zusammensetzung nach ist er teils organischer,
teils anorganischer Natur, je nach der Exposition des
Gletschers. Der organische Anteil besteht aus pflanz¬
lichen Zerfallsprodukten (Detritus) und Pollen¬
körnern, wobei letztere gelegentlich überwiegen können.
Dieses Material wird zusammen mit dem feinen minerali¬
schen Staub auf die Gletscheroberfläche geweht, wo es
sich in kleineren und größeren Vertiefungen der Eisober¬
fläche ansammelt. Aus dem Kryokonit holt sich der Glet¬
scherfloh seine Nahrung; er bevorzugt sichtlich Pollen¬
körner, wie Magenuntersuchungen gezeigt haben.
Unklar blieb lange Zeit, was diese Tiere während des lan¬
gen, 8 bis 9 Monate dauernden Hochgebirgswinters
machen. Wir wissen heute, daß sie keine Ruhe halten,
auch nicht in Kältestarre verfallen. Wie Steinbock ver¬
mutete, leben sie während der Wintermonate in der
Grenzzone zwischen Schneeauflage und Eis¬
oberfläche. Ende der dreißiger Jahre suchte ich selbst
im Gebiet des Jamtalferners (Silvretta) im Winter nach
diesen Tieren. Wir schaufelten damals einen Schacht bis
zum Gletschereis und fanden tatsächlich dort zahlreiche
Gletscherfiöhe, die - durch die unerwartete Störung auf-

Bild 1: Der Oletscherfloh kommt im Ewigschneegebiet oft in so
großer Anzahl vor, daß der Schnee, wie von Ruß bedeckt erscheint.
Foto: F. SchttUer (5)

UMSCHAU 1963, Heft 2

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