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Hinweise für eine naturnahe Waldwirtschaft i... (1958)
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Hinweise für eine naturnahe Waldwirtschaft im Bereich der

Waldgrenze

Von Dipl.-Ing. Dr. Herbert Aulitzky, Innsbruck

Im Zeitalter des Lebendigen (24), in dem sogar der abstrakte
Techniker das Walten der Natur in einer neuen Form zu achten
gelernt hat, sollte für den Forstwirt gar nicht die Frage bestehen,
ob auch er naturnah zu wirtschaften hätte. Die Hinweise und
Hilfsmittel der Natur zu benützen, wird ihm vielmehr stets zum
Vorteil gereichen, er wird aber geradezu auf sie angewiesen sein,
wenn er seine Tätigkeit im Bereich der Lebensgrenzen entfalten
soll und mit dem Wirken der Minimumfaktoren zu rechnen hat.
Dies gilt in besonderem Maße von dem Bereich zwischen der
natürlichen Baumgrenze und der heute oft sehr tief verlaufenden
künstlichen Waldgrenze, von der Kampfzone des Waldes, wo er
sich den Luxus, naturfern zu arbeiten,-gar nicht erlauben darf.

Es wird kein Zufall sein, daß die Gesinnung der naturnahen
Waldwirtschaft besonders in Süddeutschland, in der Schweiz und
in Österreich Fuß gefaßt hat, also in Ländern mit mehr oder weni¬
ger gebirgigem Charakter. Der Wechsel von Gestein und Relief
Scha fft im Gebirge weithin sichtbare Gegensätze und es mußten
gerade dort die natürlichen Waldgesellschaften weit-
^sich hier so manches Experiment von vorn-
ytert. Es ist das Verdienst der
auf die Zusammen-
Gegeben-
heiten hifij~
Wissen um die Wut ^
gischen Forschung erst den
die von Methode und Praxis nie übers 1

. So sehr die Waldwirtschaft in der subalpinen* _ ___
Gesetze beachten muß, so wenig darf man'sie aber bezieht
als eine Aufgabe an sich betrachten. Würde man diesem Fehler"
verfallen und die übergeordneten Interessen eines bodenständigen
Bergbauerntums mißachten, so wird in den meisten Fällen schon
der Start mißlingen oder mit einer zusätzlichen Behinderung be^-
lastet sein. Es sei daher gestattet, kurz auf die wichtigen, damit
zusammenhängenden Fragen etwas einzugehen. Wenn heute die
Frage der Bewirtschaftung hochgelegener Bestände in den Bereich
ernster Diskussion gerückt ist, so geht es letzten .Endes wieder um
die Sicherung der Existenz gerade dieses Bergbauern. Es sollen
doch gerade jene Alpenflächen aufgeforstet werden, auf denen der
Wald seinerzeit wohl, vom Bauern gerodet wurde, die Alpe aber
auf die Dauer nicht gehalten werden konnte. Im Widerstreit von
menschlichem Wollen und den standortsgebundenen Kräften der
Natur mußten diese Kräfte gegenüber dem Versuch einer nicht
standortsgemäßen Bewirtschaftung den Sieg davontragen und
heute sind diese fast ertraglosen Gebiete mit Alpenrosen, Zwerg-
sträuchern und Borstgras verwachsen und in den meisten Fällen
als Ödland anzusprechen.

Aus Forstkreisen hat bereits vor mehr als 50 Jahren so manche
Warnung dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten versucht. E. Hess
(14) sagte z. B.: „Der oberste Waldsaum auf den Alpen dient nicht
nur dem Schütze gegen Lawinen und Steinschlag, sondern ist auch
zur Erhaltung der natürlichen Produktionskräfte der Weiden von
größter Bedeutung. Auch der Landwirt hat daher ein Interesse an
der Wiederherstellung und Erhaltung der Bestockung an der
obersten Waldgrenze." Da jedoch die Folgen der Entwaldung oft
erst nach Jahrzehnten katastrophale Ausmaße annehmen, wurden
noch in den Zwanziger jähren dieses Jahrhunderts Gesetze erlassen
(z. B. das Landesalpgesetz von Tirol aus dem Jahr 1920), die den
Begriff Alpe sehr großzügig auf Kosten des Waldes auslegten und
damit den Interessen der Bergbauern zu dienen hofften (15). Erst
die wiederholten Lawinenkatastrophen der letzten Jahre, ferner
das natürliche Zuwachsen und Verunkrauten der ausgedehnten
Alpflächen, für die keine Arbeitskräfte mehr zu bekommen sind
und die daher Zug um Zug aufgelassen werden müssen (8), hat
die Situation von Grund auf geändert und heute versucht eine
fortschrittliche Alpwirtschaft vom extensiven Wald-Weide-Betrieb
auf großen Flächen auf die intensive Bewirtschaftung der kleinen
ursprünglichen Alpflächen zurückzukehren. Der heutige Zustand
dieser ausgedehnten Flächen — die nun weder Wald noch Weide
sind — hat den Landesalpinspektor Schneiter (Steiermark) zur
sicher richtigen Feststellung veranlaßt, daß „sich die Ödlandkappe
der Pflanzendecke in der Hochregion ausdehnt. Dieser Vorgang
ist eine naturgemäße Anpassung der Vegetation an die vom

Menschen geschaffene Lebensunbill, diesen für seine unbedachte
Zerstörung der klimaschützenden Walddecke mit Ertraglosigkeit
strafend. Dieser Klimaschutz muß demnach wieder errichtet wer-_
den ... Der Wald schafft und erhält in der Hochöde Nutzland ...
Dieses Klima kann nur der einst gewesene, dann zerstörte und
nun wieder mit großen Opfern anzubahnende Almschutzwald¬
gürtel schaffen." (22)

Leider ist aber heute in vielen Fällen nicht nur die Alpe, der
Vorposten des Bergbauerntums, sondern auch schon die Existenz
des Hofes selbst gefährdet. Die im Gang befindliche soziale Um¬
schichtung wie auch eine Verschlechterung der Produktionsbedin¬
gungen haben zu dieser Situation geführt. Im Hinblick auf die
kommende europäische Freihandelszone zwingt dies auf forstlicher,
wie auf landwirtschaftlicher Seite zu einer ernsten Überprüfung
der beiderseitigen Konzepte, ganz abgesehen davon, daß es sid
letzten Endes um Fragen der Besitzfestigung und des Volkstums
handelt. Als Ziel müßte von beiden Seiten eine Neuordnung der
Landschaft nach optimalen Widmungsgesichtspunkten angestrebt
werden, es sollten Integralmeliorationen großen Stils eingeleitet
werden, wie dies von der Wildbach- und Lawinenverbauung Tirols
ja seit einigen Jahren bereits verwirklicht wird. In einem größeren
europäischen Wirtschaftsraum wird Holz sicher das absatzfähigste
Produkt eines ansonsten nicht allzureichen Gebirgslandes dar-
^Dies gilt vor allem für einen großen Teil seiner Hanglagen,
ktive Landschaftsneuordnung wird dies in Rech-
wsen. Eine Intensivierung der Waldwirtschaft
|iuf lange Sicht gesehen, ohne die Umerziehung
»"Säuern zum Waldbauern gar nicht möglich sein. An-
uß eine solche Entwicklung zur Aufweichung der
starren .Fronten zwischen Land- und Forstwirtschaft führen, da
bei getrennter, aber intensiver Bewirtschaftung der Flächen die
gegenseitigen Interessen nicht mehr verletzt werden. Diese Neu¬
ordnung im großen Maßstabe wird normalerweise einer Neuord¬
nung der Verhältnisse an der Waldgrenze vorausgehen müssen,
da jede Aufforstung oder Weideablösung zuerst meist mit einem,
wenn auch geringen landwirtschaftlichen Ertragsentgang verbun¬
den ist, den es vor Anlaufen der forstlichen Tätigkeit zu kompen¬
sieren gilt. Bei der Verwirklichung eines derartigen Integral¬
meliorationsprojektes sollte daher nie auf die Einhaltung einer
psychologisch richtigen Reihenfolge der Maßnahmen verzichtet
werden, da so weitreichende Maßnahmen auf der verständnis¬
vollen Mitarbeit der Bevölkerung aufgebaut werden" müssen. Ohne
ein starres Schema geben zu wollen, kann als Reihenfolge emp¬
fohlen werden:

1. Schaffung der psychologischen Voraussetzungen für die Durch¬
führung des Großprojektes. Im besonderen sind dabei die Zu¬
sammenhänge zwischen Waldrückgang, Landwirtschaftsrüdegang
und Katastrophen aufzudecken.

2. Einleitung wirklich großzügiger landwirtschaftlicher Melioratio¬
nen auf Alpen und Heimgütern, jeweils dort, wo der größte
Erfolg winkt, um einen vorübergehenden Ertragsentgang der
beabsichtigten Aufforstungsmaßnahmen schon vorher zu kom¬
pensieren.

3. Einsetzen der Aufforstungstätigkeit, erforderlichenfalls mit Un¬
terstützung von Starthilfen, sowie Einleiten der notwendigen
technischen Arbeiten, wie Wegebau und Wildbach- und La¬
winenverbauung.

Es braucht nicht besonders betont zu werden, daß die Durch¬
führung solcher Vorhaben zwingend an eine enge Zusammenarbeit
der zuständigen Ämter, insbesondere der Alp- und Forstinspektion
mit der Wildbach- und Lawinenverbauung, gebunden ist. Weder
finanziell noch technisch können die gestellten Aufgaben vom
Einzelressort bewältigt werden.

Wenn nunmehr im Rahmen solcher Zielsetzungen weite Flächen
der subalpinen Stufe dem Wald zurückgewonnen und erstmals
einer geregelten Waldwirtschaft zugeführt werden sollen, erhebt
sich sofort die Frage nach der geeigneten forstlichen Methodik.
Im Hinblick auf das Flächenausmaß und die damit verbundenen
Kosten einerseits — man spricht allein in Tirol von etwa 50.000 ha
und in Österreich dürften es fast 200.000 ha sein —• (10) und oft¬
malige Rüdeschläge andererseits, von denen Figala (5) und Schrei¬
ber (23) berichtet haben, kann das Risiko eines solchen Vorhabens