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Artenzusammensetzung und Verteilung von Käfern im Gletschervorfeld d... (1998)
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1. Einleitung

Gletschervorfelder sind aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte geeignete Untersuchungsgebiete
für die Sukzessionsforschung. Die Gletscher haben sich seit dem Ende der Eiszeit mehr und
mehr zurückgezogen und sukzessive Neuland freigegeben, das auf relativ engem Raum viele
verschiedene Artengemeinschaften nebeneinander aufweist. Dabei handelt es sich einerseits um
verschiedene Sukzessionsstadien in Abhängigkeit vom Alter des Untergrundes, andererseits
überlagern altersunabhängige Faktoren, wie Licht, Feuchtigkeit und mehr oder weniger
regelmäßige Störungen, wie Lawinen oder Steinschlag, den Sukzessionsgradienten und fuhren
so zu einem kleinräumigen Mosaik der Vegetation und vermutlich auch der Fauna.

Ein Schwerpunkt der Sukzessionsforschung sind die Prozesse, die hinter dem Wandel der
Artengemeinschaften stehen und dazu führen, daß Arten im Laufe der Zeit verschwinden und
andere ihren Platz einnehmen. Connell und Slatyer (1977) diskutieren dazu drei Modelle -
facilitation-, inhibition- und tolerance-model.

^ Das facilitation-model entspricht der klassischen Sukzessionstheorie von Clements (1916,
1936). Nach seiner Vorstellung besitzen nur bestimmte Arten die Fähigkeit,
Pionierstandorte zu besiedeln. Diese Pioniergemeinschaften beeinflussen und verändern die
Lebensbedingungen dahingehend, daß sich Arten nachfolgender Sukzessionsstadien
ansiedeln können.

^ Eine zweite Sukzessionshypothese beschreibt Egler (1954) unter dem Namen initial
floristic composition. Bei diesem Modell wird der Verlauf der Sukzession von den Arten
bestimmt, die sich als erste ansiedeln. Diese verteidigen ihre Position gegenüber
Nachzüglern, die sich erst dann etablieren können, wenn erstere absterben. Nach dieser von
Connell & Slatyer (1977) als inhibition-model bezeichneten Hypothese ist Sukzession ein
sehr variabler Prozeß und nicht vorhersagbar. Dies steht im Gegensatz zur Theorie von
Clements, die eine mehr oder weniger geordnete Abfolge von Arten und
Artengemeinschaften annimmt.

^ Das tolerance-model von Connell & Slatyer (1977) nimmt eine Art Mittelstellung ein. Wie
beim inhibition-model können alle Arten als Pionierarten auftreten. Im Laufe der
Sukzession werden sie dann von konkurrenzstärkeren Arten, die besser an limitierende
Umweltfaktoren angepaßt sind, abgelöst.

Alle drei Modelle sagen voraus, daß Pioniergesellschaften von Arten dominiert werden, die
besondere Verbreitungs- und Wachstumsstrategien aufweisen. Der wesentliche Unterschied
der drei Hypothesen besteht in der Art und Weise, wie nachfolgende Arten und
Artengemeinschaften vorhergehende ablösen: im facilitation-model werden nachfolgende
Arten gefördert, im inhibition-model hingegen unterdrückt und im tolerance-model hat die
vorhandene Artengemeinschaft keinen Einfluß auf nachfolgende Arten.

Verschiedenste Untersuchungen zur Entwicklung von Ökosystemen lieferten zwar immer
wieder Hinweise auf Förderung oder Unterdrückung anderer Arten und zeigten vielfach auch
ein Zunahme konkurrenzstärkerer Arten im Laufe der Sukzession, doch es wurde auch
deutlich, daß keines der oben erwähnten Modelle allein ausreicht, die Prozesse und
Mechanismen des Sukzessionsablaufes zu erklären. Erst die Kombination von Konkurrenz
zwischen den Arten, Förderung anderer Arten und artspezifischen Eigenschaften, wie
Samengröße, Verbreitungsstrategien, Wachstumsrate, Lebensdauer sowie Alter bei der ersten
Reproduktion liefert ein vollständiges Bild über die Vorgänge, die zum Wechsel von
Artengemeinschaften fuhren (Walker & Chapin, 1987; Chapin et al., 1994).